Von Bussen und Taxis - Netzneutralität erklärt

“Das ist mir alles zu hoch. Die machen das schon.” - Diese Sätze hört man immer wieder, gerade wenn es um das Neuland Internet geht. Und das ist verständlich. Das Internet ist kompliziert, existiert vergleichsweise seit einer sehr kurzen Zeit und ist immer noch in der Entwicklungsphase, in der sich sehr schnell sehr viel ändert.

Da ist es nur normal, wenn sich der Durchschnittsbürger zurückzieht. Mehr als E-Mail, ein bisschen Surfen und Netflix macht er ja sowieso nicht. Ich würde genau so handeln. Es gibt sehr viele Bereiche, für die ich mich nicht interessiere und mit denen ich mich nicht beschäftige. Schließlich kann ich auch nicht alles wissen und überall auf dem aktuellen Stand bleiben. Das ist für eine Person einfach nicht möglich. Als professioneller Nerd ist mir allerdings gleichzeitig auch wichtig, dass sich der normale Mensch mit dem Internet auseinandersetzt. Es ist mittlerweile keine Trenderscheinung, die bald wieder Geschichte ist und auch nicht mehr nur eine Randgeschichte. Das Internet ist überall und ohne würde nichts mehr funktionieren. In den folgenden Zeilen möchte ich daher die Vor- und Nachteile der Netzneutralität und des neuen EU-Entschlusses verständlich erklären, da es in Zukunft jeden treffen wird.

Nicht umsonst wird das Internet oft mit einer Daten-Autobahn verglichen. Vorstellen kann man sich das als ein großes Netz aus vielen Straßen und Abzweigungen. Jeder Computer ist mit jedem verbunden. Der eine kann schneller erreicht werden, der andere ist etwas weiter entfernt. Zur Veranschaulichung existieren aktuell, im neutralen Netz nur Busse, die jede Person gleich schnell an das Ziel bringen. Ganz egal, ob diese Person nun wenig Geld für den Internetanschluss zahlt, oder viel. Natürlich ist die Anzahl der verfügbaren Busse je nach Anbindung unterschiedlich. So stehen einem Heim-Anschluss mit 16 Mbit/s weniger Busse gleichzeitig zur Verfügung als einem Firmen-Anschluss mit 1000 Mbit/s.

Mit dem neuen Entschluss des EU-Parlaments, welcher vor ein paar Tagen etabliert wurde, kommen zu unserem Modell nun auch Taxis hinzu. Diese haben selbstverständlich den Vorteil schneller an das Ziel zu kommen, ganz unabhängig von der Quantität. Im Internet wird das durch eine Priorisierung erzielt. Sind die Autobahnen zu Stoßzeiten, zum Beispiel abends, wenn alle von der Arbeit heim kommen, voll, kommt es zu einem Stau. Fährt nun ein Taxi vor, so müssen die Busse rechts ranfahren und das Taxi durchlassen, bevor sie weiterfahren dürfen. Dadurch verzögert sich die Ankunftszeit des Busses selbstverständlich.

Durch dieses Konstrukt haben wir nun die aktuelle und zukünftige Lage des Internets aufgebaut. Nun betrachten wir einmal die Vor- und Nachteile der jeweiligen Situationen. Der erste Unterschied dürfte ganz klar sein. Mit dem ersten Konstrukt ist jeder gleichberechtigt. Egal, ob es eine kleine Firma ist, oder ein großes Unternehmen. Jeder kommt gleich schnell an sein Ziel. Im zweiten Modell ist das schon anders. Wer mehr Geld hat, kann sich mehr Taxis kaufen, die er dem Nutzer, der seinen Dienst besuchen möchte, vorbeischicken kann. Dadurch kommt dieser dann schneller an sein Ziel. Andersrum funktioniert das natürlich auch: Mit einem Aufpreis kann der Nutzer selbst Taxis bestellen, welche ihn ebenfalls schneller an das Ziel bringen.

Hier scheiden sich die Geister. Während die eine Gruppe einen Vorteil in den Taxis sieht, ist die andere gegen eine Bevorzugung der Besserbezahler. Gerade bei kleinen Unternehmen könnte das zu einem Problem werden: Angenommen ein relativ kleiner Dienst, wie zum Beispiel Watchever, möchte sich gegen Netflix etablieren. Aktuell bekommt jeder Nutzer die Videos gleich schnell zugestellt. Egal, ob man nun auf Netflix einen Film ansieht, oder sich auf Watchever eine Serie anguckt, beide Filme werden gleichschnell geladen. Zu Stoßzeiten kann es nun zu Staus kommen, was bedeutet, dass das Video bei beiden Anbietern ruckelt und immer wieder pausiert wird. Mit der Abschaffung der Netzneutralität könnte nun zum Beispiel Netflix reihenweise Taxis für seine Nutzer kaufen, welche ein ruckelfreies Video auch zu Stoßzeiten garantieren, während Watchever sich das vielleicht nicht leisten kann. Andersrum könnte Watchever aber auch einen Deal mit dem Internet-Anbieter vereinbaren, welcher für den Nutzer gegen einen Aufpreis Taxis garantiert, während Netflix keine Taxis bekommt und die Nutzer weiter per Bus angekarrt werden müssen. Das schafft je nach Geschäftslage ein Ungleichgewicht im Markt.

Aktuell ist dies sogar schon teilweise der Fall. So hat Spotify zum Beispiel einen Vertrag mit der Telekom geschlossen. Wer einen Aufpreis zahlt, bekommt das durch Spotify verbrauchte Datenvolumen nicht berechnet, während andere dafür bezahlen müssen. Da das neue Gesetz diese Taktik befürwortet, könnte dies allerdings nun die Regel werden. Selbstverständlich kann es nun auch sein, dass die Bus-Strecken absichtlich verkleinert werden, sodass Taxis noch schneller ankommen und Busse absichtlich lange warten müssen.

Die Gegenseite der Argumentationskette vertritt aktuell die Telekom. Dort schreibt man, dass es wichtig ist, kleine Unternehmen zu stärken. Und auch diese Seite hat selbstverständlich nicht ganz unrecht. Große Unternehmen können sich in jedem Land einen Standort leisten, um die Entfernung zum Nutzer, der mit Bussen fährt, zu verringern. Kleine Firmen jedoch haben nicht das nötige Kleingeld um sich diesen Luxus zu gönnen und müssen oft lange Strecken zum Nutzer in Kauf nehmen. Gegen einen kleinen Anteil am Umsatz des Unternehmens möchte Telekom daher für kleine Firmen Taxis anbieten, welche die lange Strecke durch erhöhte Priorität ausgleichen sollen.

Meiner Meinung nach ist die Aufhebung der Neutralität trotzdem ein sehr heikles Thema. Die Vergangenheit hat oft genug gezeigt, dass im Endeffekt immer die großen Firmen gewinnen und somit am meisten aus den Taxis profitieren werden, während kleine Unternehmen weiter mit den langsamen Bussen auskommen müssen. Im Einzelfall kommt es nun also darauf an, wie die Gerichte entscheiden. Vorausgesetzt die kleinen Firmen können sich große Anwälte leisten.

Titelbild: CC by Backbone Campaign @Flickr